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Einsam

Ernst war schon immer ein Einzelgänger gewesen, schon als Kind. Obwohl er mit seinem kleinen Bruder das Kinderzimmer teilte, fand er den Zugang zu ihm nicht. Er spielte alleine, saß verklärt auf dem Boden und führte sein rotes Blechauto belanglos über seine erdachten Strassen. Den Motor nachahmend blubberte es vor sich hin. „Komm, wir spielen Post“ wurde er etwa von seinem Bruder aufgefordert. „ Nein“ war seine lakonisch knappe Antwort. „Ja“, „nein“, „ich weiss nicht“, das war sein ganzer Wortschatz und das mit 5 Jahren. Im Kindergarten wurde er als aufgeweckter Bub, aber auch als Einzelgänger taxiert. Er redete kaum oder gab auf Fragen immer nur eine knappe Antwort. Das änderte sich auch später in der Schule nicht. Er war fleißig, hatte gute Schulnoten im Zeugnis, aber auch Vermerke wie „Ernst träumt“, oder  „Ernst ist ein Einzelgänger“. Lehrer und Eltern machten sich Gedanken, der Schulpsychologe jedoch meinte nur, „Ernst ist intelligent, gescheit, und der Rest kommt dann schon noch, er wird seinen Knopf sicher noch öffnen“. Auch sein Studium als Mathematiker schloss er mit Bravour ab und bekam eine Anstellung in einem großen Konzern.

Viele Jahre vergingen, Ernst lebte allein und zurückgezogen in einem schönen, ruhigen Quartier in der Stadt. Verließ morgens pünktlich seine Wohnung, ging zur Arbeit und kam abends ebenso regelmäßig und pünktlich wieder nach Hause. All seine Schul- und Studienkollegen waren bereits verheiratet, oder sie hatten eine Freundin. Nicht so Ernst, alleine, in sich zurückgezogen, lebte er vor sich hin, macht seine Arbeit zur besten Zufriedenheit seines Vorgesetzten. Entsprechend seiner Einzelgängerart, wurde ihm denn auch die Arbeit zugeteilt. Diese Arbeit bestand darin, dass er komplexe Berechnungen von noch komplexeren Aufgaben lösen musste, eine Arbeit, die keinen Kontakt zu anderen Menschen erforderte. Kontakt zu seiner Familie pflegte er ebenso minimal, wie seine Antworten immer waren. Wenn er etwas gefragt wurde, gab er nach wie vor nur ein knappes „ja“, „nein“ oder „ich weiss nicht“ zurück. 

Ferien machte er zurückgezogen in seinem Reich, der kleinen Wohnung im ruhigen Quartier in der Stadt. Da er keine Freunde hatte, bekam er auch nie Besuch in seine Wohnung. Der Familie verweigerte er durch seine Zurückgezogenheit ebenfalls den Zugang zu seinem Reich. Gegenüber seinen Mitbewohnern im Haus verhielt er sich eben so verhalten und zurückgezogen, dass die schon gar nicht merkten, dass in dieser Wohnung jemand lebte. Er war nie krank, kam immer pünktlich zur Arbeit und war seit nunmehr über dreissig Jahren so zuverlässig wie am ersten Arbeitstag.

Es war in der Vorweihnachtszeit. In der Stadt herrschte geschäftiges Treiben. Dies liess Ernst genauso unberührt wie eigentlich alles um ihn herum auch. Doch Am Montag nach dem 2. Adventsonntag geschah das unerklärliche, das keiner fassen konnte. Ernst erschien nicht zur Arbeit. Dies machte seinen Vorgesetzten etwas nachdenklich, er konnte sich jedoch im Moment keinen Reim daraus machen. -Er dachte sich nur: - Ernst hat kein Telefon zu Hause, ist wohl krank geworden und wird sich dann morgen in der Früh schon bei mir melden, so pünktlich und korrekt wie er immer ist -. Doch am anderen Tag kam kein Telefonanruf vom Ernst. Als nach zwei Tagen immer noch nichts von ihm zu hören war, wunderte man sich in der Firma und war gleichzeitig auch ein wenig in Sorge. Auch von seinen Arbeitskollegen konnte nichts in Erfahrung gebracht werden. So beschloss sein Vorgesetzter, am Montag nach dem 3. Adventsonntag, ihm einen Besuch abzustatten.  Er  klingelte an der Wohnungstür von Ernst, einmal, zweimal und noch ein drittes Mal, doch niemand öffnete. Am nächsten Tag versuchte er es noch einmal. Nichts, kein Laut, nur Stille. So beschloss er, den Hausdienst zu alarmieren und  mit diesem zusammen die Wohnungstür zu öffnen. Stille und Dunkelheit strömte ihnen aus der Wohnung entgegen und ein süßlich-muffiger Geruch. Küche und Bad waren fein säuberlich aufgeräumt, Ordnung auch im Schlafzimmer, das Bett unterrührt. Sämtliche Läden und Fenster geschlossen, nur aus dem Wohnzimmer konnte ein schwacher Lichtschimmer wahrgenommen werden.

Auf dem Stubentisch im Wohnzimmer stand ein Adventskranz, an dem eine von vier elektrischen Kerzen ein schwaches, trostloses Licht von sich gab und auf dem Boden sitzend, in sich zusammen gesunken fanden sie den Ernst, tot, vor sich ein rotes Blechauto…

© Hans-Peter Zürcher




 Weg der Tugend

„Wohin des Weges?“ ein wenig aufgeschreckt aus seinen tiefen Gedanken sieht ein junger Wanderbursche einen alten, ergrauten Mann am Wegesrand sitzen. „Ach“ antwortete der junge Wanderbursche, „ich wandere auf dem Pfad der Tugend“. „Das ist sehr weise von dir“, der Alte machte eine kurze Pause, „weißt du, wer keine innere Haltung besitzt, kann diesen Weg nicht beschreiten. Er ist nicht immer einfach zu begehen, ab und zu kann er auch sehr beschwerlich sein“. „Ja, das hast du vollkommen recht. Weißt du, ich durfte auf meinem Weg bereits zwei Tugenden kenne lernen. Der Glaube und die Liebe. Die Hoffnung ist die dritte Tugend, die ich noch erlernen möchte. So einfach das Wort Hoffnung auch klingt, es ist gar nicht so einfach, diese zu erlangen“. „Oh“ antwortete der Alte, „das ist wahrlich so. Die Hoffnung ist eine zuversichtliche innerliche Ausrichtung gepaart mit einer positiven Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes in der Zukunft eintritt, ohne dass eine wirkliche Gewissheit darüber besteht. Und genau im Letzteren liegt die Erschwernis, diese Tugend zu erlernen“. Er machte wiederum eine Pause, betrachtete den Jüngling und lächelt. „Schau“, redet er weiter, „du hast den Glauben gefunden und auch die Liebe kennengelernt, also wird es dir leicht fallen, auch der Hoffnung zu begegnen“. Nun lächelt der Jüngling zurück, ein strahlen und leuchten erhellt seine Augen. „Oh ja, jemand hat mir einmal gesagt, dass Glaube und Liebe getragen werden von Hoffnung“. „Genau so ist es mein junger Freund, Glaube beruht auf Willen und ist absolute Wahrheit und die ist wiederum dem Glaubensinhalt unterstellt. Glaube unterscheidet sich aber von Wissen. Er beruht auf Vermutung, welche die Wahrheit des vermuteten Sachverhalts wohl annimmt, aber gleichzeitig vieles offen lässt, was sich letztendlich als Tatsache oder Erkenntnis widerlegt. Somit wandelt sich Glauben zu wissen“. Nach einer kurzen Pause fährt es fort, „Glauben kann aber auch die Bedeutung haben, jemandem zu vertrauen“. „Dann ist es also so, dass Hoffnung uns Menschen positiv stimmen, kann in die Endlichkeit unserer Existenz“ antwortet der Jüngling in etwas fragender, aber doch bestimmender Haltung. „Ja, genau, mein junger Freund, genau so wie die die Liebe, die du ja ach bereits kennengelernt hat“. Er lächelt dem Jüngling verschnitzt zu. „Ja, sicher“ antwortet der junge Bursche, „ ich habe erfahren dürfen, und das schon als Kind, dass die Liebe mit schönen Gefühlen und innerer Wärme verbunden ist. Eine starke Zuneigung, das Lebewesen zu empfinden fähig macht. Es entstehen mächtige Gefühle, eine innere Haltung positiver und inniger Verbundenheit“.
Der Alte steht auf, legt seinen Arm über die Schulter des Jungen und geht so einige wenige Schritte mit ihm des Weges. Dann bleiben sie stehen, „siehst du, so wenig braucht es, und du erlangtest die Grundwerte der Tugend. Ja, du hast diesen wichtigen Weg auf dich genommen und das ist auch recht so. Denn Tugend ist ja nichts anderes als Besitz einer positiven Eigenschaft. Nämlich eine Fähigkeit, die innere Haltung und das Gute mit innerer Neigung zu verbinden. Dieses Teilstück deines Lebensweges hast du nun erfolgreich hinter dich gebracht und bist bereit, den Weg der Weisheit zu begehen. Über den Weg der Tugend zum Baum der Erkenntnis“...

© Hans-Peter Zürche
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© LYRIK - POESIE und FOTOGRAFIE by Hans-Peter Zürcher